35 Jahre Frauenhaus als Institution -
Historische Verschiebungen, neue Begrifflichkeiten, neue Schwerpunkte und Verknüpfungen
(November 2012)

Am 25. November ist seit 1999 der internationale Gedenktag „Nein zu Gewalt an Frauen“. Die Institution Frauenhaus wird in diesem Herbst in Deutschland 35 Jahre alt. Auch nach Jahren öffentlicher Auseinandersetzung über die Gewalt, der viele Frauen im Zusammenleben mit Männern ausgesetzt sind, ist es immer wieder erforderlich, neue Initiativen zu ergreifen, um die Situation betroffener Frauen zu verbessern. In den vergangenen Jahren sind zwar bedeutende Veränderungen erreicht worden, gelöst ist das Problem der Gewalt im Geschlechterverhältnis bislang jedoch nicht.

Gewalt gegen Frauen öffentlich thematisieren

Es ist das Verdienst der neuen Frauenbewegung, in den 1970er Jahren das Thema Gewalt gegen Frauen öffentlich und zum Gegenstand politischer Planung und sozialer Intervention gemacht zu haben. Damit dies gelingen konnte, musste ein Begriff geprägt werden für ein Problem, das bislang nicht im öffentlichen Bewusstsein existierte: „Gewalt gegen Frauen“.
Männergewalt wurde zu einem Symbol für das gesamte Spektrum gesellschaftlicher Benachteiligung von Frauen und allen Unrechts, dem sie ausgesetzt sind. Hatte die Frauenbewegung in ihren Anfängen überwiegend über „Unterdrückung von Frauen“ gesprochen, so ging es später vorwiegend um „Gewalt gegen Frauen“.

Die Gewaltdiskussion der Frauenbewegung umfasste die Auseinandersetzung mit Misshandlung in der Ehe und anderen intimen Beziehungen, Vergewaltigung, sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend, sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, sexuellen Übergriffen in der Therapie und in Institutionen, sexuellen Übergriffen auf Frauen mit Behinderungen, älteren Frauen, Frauenhandel sowie geschlechtsspezifischer Gewalt als Mittel des Krieges. Die Überschneidungen dieser Gewaltformen im Alltag und in der Biographie von Frauen wurden ebenso sichtbar wie die Fragwürdigkeit der Unterscheidung in „schlimme“ und „weniger schlimme“ Gewalthandlungen.
Die Praxis stellt immer wieder hohe Anforderungen an die Mitarbeiterinnen, dadurch dass die Vielfalt und Widersprüchlichkeit der individuellen Problemlagen, Lebensperspektiven, Verletzungen und Wünsche der Frauen unter dem gemeinsamen Nenner „Gewalt“ bei jeder einzelnen Frau deutlich wird.

Die Arbeit im Frauenhaus hat sich aus dem ursprünglichen politischen Engagement vor allem für neue Mitarbeiterinnen zum Arbeitsplatz entwickelt. An der finanziellen Absicherung der Einrichtungen und der tariflichen Bezahlung der Mitarbeiterinnen kann, so innerhalb des autonomen Spektrums, das Maß der gesellschaftlichen Anerkennung der Arbeit gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis abgelesen werden.

Der Zusammenhang zwischen „privater“ Gewalt gegen Frauen und staatlicher (Nicht-)Reaktion bzw. Verantwortung war in der Frauenhausarbeit immer zentrales Thema und führte schließlich zu einem Perspektivenwechsel: Das Unterstützungsangebot musste ausdifferenziert werden und alle mit dem Problem befassten Institutionen sollten kompetent und nach einem gleichen Problemverständnis ihre Interventionen koordinieren. Sobald analysiert wurde, was alles getan werden musste, um über bloßes „Helfen wollen“ hinauszugehen, wurden Leerstellen in der Intervention sichtbar, die erneut ratlos und hilflos machten.
Die Einrichtung „Frauenhaus“ hat die Gesellschaft nicht reformiert, hat aber die Grenzen der eigenen Möglichkeiten erkannt und sich selbst als entwicklungsbedürftig und entwicklungsfähig gezeigt.

Einen solidarisch-kritischen Blick auf die Lebenswirklichkeit von Frauen entwickeln

Die Erkenntnis, dass die bisherigen Maßnahmen nicht geeignet gewesen waren, nachhaltige Veränderung in den gesellschaftlichen Normen und im Denken der Bevölkerung zu erzeugen, stellte nicht das Konzept „Frauenhaus“ in Frage, - sondern die Art und Weise, wie die allgemeine Politik und Verantwortliche in Institutionen die Problematik der Gewalt im Geschlechterverhältnis ignorierten.

Die Fokussierung auf ausschließlich Frauen als Opfer der Männergewalt veränderte sich bereits Mitte der 80er Jahre, als der sexuelle Missbrauch in Kindheit und Jugend von Frauen an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Zuerst standen hier die Mädchen im Mittelpunkt. Dies bedeutete aber dennoch eine interessante Erweiterung des Blickwinkels, denn neben der Gewalt im Geschlechterverhältnis trat nun die Gewalt im Generationenverhältnis hinzu. Bei sexualisierter Gewalt gegen Mädchen verschränken sich diese beiden Gewaltphänomene.
Die Frauenbewegung betrat das Terrain der Kinderschutzbewegung, was nicht ohne Konflikte blieb.
Über die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt gegen Mädchen und Jungen wurden Frauen als Täterinnen in die feministische Gewaltdiskussion eingeführt, wo sie bislang nur als Opfer präsent waren.

Ein differenziertes Parteilichkeitsverständnis wurde entwickelt: Es ging um einen solidarisch-kritischen Blick auf die Lebenswirklichkeit von Frauen. Frauen erleiden Gewalt durch Männer nicht, weil sie bessere Menschen sind, sondern weil sie Frauen sind. Die Gewalt macht auch keine besseren Menschen aus Frauen, im Gegenteil kann Gewalt sehr zerstörend wirken. Diese zerstörerische Qualität von Gewalt im Geschlechterverhältnis wird zur Zeit thematisiert von der sehr intensiv geführten Diskussion über die Auswirkungen, die die Gewalt gegen die Mutter auf die Kinder hat.

Das gesellschaftlich gültige Opferbild wurde zunehmend kritisch hinterfragt: Die These von der Unschuld der Gewaltopfer war nicht länger haltbar. Die gesellschaftliche Ächtung der Gewalt wurde zunehmend mit der Rechtsverletzung durch die Täter begründet. Indem die Gewalt im privaten Raum als Rechtsverletzung anerkannt wird, wird das Gewaltmonopol des Staates auch für Gewalt gegen Frauen und Kinder eingeklagt.
Für Frauen und Kinder, gegen die im privaten Raum bislang fast ungestraft Gewalt angewendet werden durfte, sollen somit Menschenrechte im vollen Umfang gelten. Gewalt im häuslichen Bereich wurde erstmalig als Frage der inneren Sicherheit gesehen.

Trotz Erfolge keine Absicherung für Schutz und Unterstützung

In vielen gesellschaftlichen Bereichen und Politikfeldern ist im Laufe der vergangenen Jahre das Bewusstsein gewachsen, dass Gewalt im Geschlechterverhältnis kein Randproblem darstellt und keine Privatsache ist. Trotzdem ist die Absicherung existierender Schutz- und Unterstützungsangebote nicht selbstverständlich.
Immer noch zählt die Finanzierung von Frauenhäusern und spezialisierten Beratungsstellen, von Telefonnotruflinien oder Täterprogrammen zu den sog. freiwilligen Leistungen, als ob es sich nicht um eine Frage der Realisierung von Menschenrechten und der Gewährleistung von innerer Sicherheit für Frauen und Kinder handelte.

Es konnten jedoch einige bedeutende Etappensiege erreicht werden. Die beiden großen sozialen Bewegungen, die Gewalt im privaten Raum zu ihrem Thema gemacht haben - die Frauenbewegung und die Kinderschutzbewegung - können nach etwa 30 Jahren Arbeit echte Erfolge vorweisen.

Das meiste davon entzieht sich jedoch der Kompetenz des Bundes und muss in unserem föderalen Staat von den Ländern und Kommunen umgesetzt werden. Nach wie vor ist politische Initiative gefordert.

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