Frauenhaus im Krisenmodus

(November 2020)

Frauenhaus im Krisenmodus (November 2020)

"Was fehlt, ist zum Beispiel das Trostspenden", beschreibt Maike Schöne die schwierige Situation. "Man kann nicht mal die Hand einer Frau halten oder ein Kind auf den Arm nehmen. Es ist eine vollkommen andere Art der Arbeit."
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Frauenhaus im Krisenmodus (November 2020)

Maike Schöne befürchtet, dass betroffene Frauen derzeit noch angespannter auf die kommende Zeit blicken.
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Wohin, wenn das eigene Zuhause keinen Schutz mehr bietet? Für Frauen, die vor Gewalt in ihrer Partnerschaft fliehen, sind Frauenhäuser oftmals die letzte Zufluchtsstätte. In diesem Jahr sind viele von ihnen noch stärker gefragt als sonst – denn die Corona-Pandemie hinterlässt ihre Spuren auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen.

Nichts geht mehr. Nahezu alle Ampeln der Frauenhäuser in Nordrhein-Westfalen stehen auf Rot. Springt eine auf Grün, können sich die jeweiligen Mitarbeiterinnen vor Anrufen kaum retten. Das Ampelsystem wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Autonomer Frauenhäuser NRW entwickelt. Über www.frauen-info-netz.de können Hilfesuchende online schnell sehen, in welchen Frauenhäusern in NRW es tagesaktuell noch Kapazitäten gibt. Doch freie Plätze sind rar – auch das Frauenhaus Soest, in dem bis zu acht Frauen mit ihren Kindern Zuflucht finden, ist fast durchgehend voll belegt.

Ampel steht fast durchgehend auf Rot

„Schon vor Beginn der Pandemie sind wir praktisch immer voll belegt gewesen”, sagt Maike Schöne. Sie leitet das Frauenhaus Soest der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen – und hat in den vergangenen Monaten eine Veränderung gespürt. „Die Zahlen sind in diesem Jahr deutlich gestiegen“, so Schöne. „Wenn eine Frau auszieht, zieht direkt eine Neue ein.“ Sie bestätigt damit die Befürchtungen der Hilfsorganisationen und Opferverbände, die bereits im März vor einem Anstieg der häuslichen Gewalt warnten.
Insgesamt 114.903 weibliche Betroffene von Partnerschaftsgewalt zählt die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2019, darunter 117 mit tödlichem Ausgang für Frauen. Fast täglich wurden Tötungsversuche verzeichnet. Von einem erheblich höheren Dunkelfeld ist auszugehen. Dem gegenüber steht ein chronisch unterfinanziertes und lückenhaftes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen. So fehlen – gemessen an den Vorgaben der für Deutschland verbindlichen Istanbul-Konvention – bundesweit mehr als 14.000 Frauenhausplätze. Viele der existierenden Unterstützungseinrichtungen kämpfen regelmäßig um ihr Fortbestehen.
In einigen Bundesländern wie etwa in Bremen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern haben die Fälle von häuslicher Gewalt im Frühjahr 2020 zugenommen – zumindest, wenn es nach den Polizeidaten geht. Eine erste Auswertung der Daten lag bereits im Juni vor. Das Merkwürdige: Nach Angaben der Frauenhauskoordinierung in NRW kam es bis zum Sommer sogar zu einem Rückgang der Fallzahlen - sogar um 21 Prozent. Die Polizeidaten erfassen nur das Hellfeld – also nur jene Fälle, die den Beamt*innen gemeldet werden. Ein Rückgang der offiziellen Zahlen muss nicht unbedingt bedeuten, dass es weniger Gewalt gibt.
Rund 3 Prozent der Frauen in Deutschland wurden in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen im Frühjahr zu Hause Opfer körperlicher Gewalt, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Dies zeigt die repräsentative Studie der Technischen Universität München bereits im Juni. Waren die Frauen in Quarantäne oder hatten die Familien finanzielle Sorgen, lagen die Zahlen deutlich höher.
Während der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wuchs die Sorge, dass Frauen und Kinder unter häuslicher Gewalt leiden könnten. Doch da nicht alle Opfer Anzeige erstatten oder Hilfsangebote nutzen, blieb die tatsächliche Dimension im Dunkeln.
Frauenhäuser und Betreuungseinrichtungen berichteten, dass deren Zahlen erst nach den Lockerungen einen „sehr, sehr starken Anstieg“ erlebt hätten.

„Viele Frauen befanden sich wie in einer Art Schockstarre - sie fragten sich: ‚Wie geht alles weiter?‘ Die Alternative zur angespannten Situation in der Familie beziehungsweise Partnerschaft war ungewiss“, sagt Maike Schöne. „Durch die räumliche Enge war es auch schwierig zu telefonieren. Zudem fehlte aufgrund der Kontaktverbote der soziale Umgang mit anderen Personen und die Unterstützung zum Beispiel von Freundinnen oder Arbeitskollegen.“ Viele Mütter hätten möglicherweise auch wegen der Kinder beschlossen, erst einmal auszuharren.

Zusätzliche Schutzunterkunft im Kreis Soest im Frühjahr/Sommer

Die Alternative Schutzunterkunft Kreis Soest in der Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. in Kooperation mit dem Kreis Soest war von April bis August 2020 wegen der besonderen Situation der Corona-Pandemie eröffnet worden. Sie bot zusätzlich zum stets voll belegten Frauenhaus Soest Zuflucht an. Mitte Mai fanden die ersten Aufnahmen in der Alternativen Schutzunterkunft statt. So stieg die Zahl der Aufnahmen in der Alternativen Schutzunterkunft im Juli auf drei und im August auf vier an. „Neun Frauen und acht Kindern aus dem Kreis Soest konnten wir mit der Alternativen Schutzunterkunft Hilfe bieten“, fasst Maike Schöne, Leiterin des Frauenhauses Soest, die Situation zusammen. Die Schutzsuchenden blieben zwischen zwei und vierzehn Tagen.

Frauenhaus im Corona-Modus

Ein eigenes Zimmer: In Corona-Zeiten ein wertvolles Gut. Längst nicht jede Frau habe ein eigenes Zimmer. Infektionsschutz ist für Frauenhäuser mit ihren Gemeinschaftsküchen und -bädern eine Herausforderung. „Manche Häuser nehmen zur Entzerrung der räumlichen Enge nicht so viele Frauen auf wie sonst.“ Um Infektionen vorzubeugen, arbeite oft nur ein Mini-Team vor Ort, Beratungen würden möglichst online oder telefonisch geführt. Schwierig sei die Lage für Kinder. Dieser Bereich müsse dringend besser ausgestattet werden, sagt Maike Schöne etwa mit Blick auch auf die Unterstützung beim Homeschooling im Frühjahr.

Das NRW-Gleichstellungsministerium betonte im Juli 2020, die Mittel für die landesgeförderten 64 Frauenhäuser seien seit 2017 erhöht worden. Für 2020 habe man die Förderung um 1,5 Prozent auf 10,4 Millionen Euro gesteigert. Im Zuge der Pandemie fließen an rund 180 Opferschutzeinrichtungen zusätzliche 1,5 Millionen Euro aus dem Rettungsschirm. Das Land sei ein „verlässlicher Förderer“ der Frauenhäuser. Die Plätze seien NRW-weit auf aktuell 610 gestiegen, ein weiterer Ausbau sei auf „gutem Weg“.

Jedes Frauenhaus muss an verschiedenen Stellen gleichzeitig kämpfen: Gegen die Gewalt und gegen eine Ausbreitung des Coronavirus. „Sollte jemand positiv getestet werden, geht hier nichts mehr“, sagt Maike Schöne. Im Frauenhaus herrschen strikte Hygieneregeln. Aber die gemeinschaftlich genutzten Räume - wie zum Beispiel die Küche - können gar nicht so aufgeteilt werden, dass der Infektionsschutz innerhalb der Gruppe der Bewohnerinnen und Kinder zu jeder Zeit gegeben ist. „Wer erkältet ist, soll nach Möglichkeit auf dem eigenen Zimmer bleiben und außerhalb eine Maske tragen. Die Symptome und die Körpertemperatur werden dann beobachtet. Wünschenswert wäre eine Möglichkeit, sie sofort auf den Virus testen zu lassen“, erklärt die Leiterin und fügt hinzu: „Aber die gibt es zurzeit für uns im Frauenhaus noch nicht. Wir schulen unsere Bewohnerinnen wiederholt in Hygiene- und Abstandsregeln. Das ist unsere ständige Bemühung, wie wir uns alle gerade in der Einrichtung schützen können.“ Beratungen finden nur noch außerhalb oder im großen Büro statt – mit Maske und unter Einhaltung der gängigen Abstandsregeln. „Homeoffice“ ist nur bedingt möglich, da der direkte soziale Kontakt und Austausch bei dieser Arbeit notwendig ist.
Das bringt auch die Mitarbeiterinnen an ihre Grenzen. „Was fehlt, ist zum Beispiel das Trostspenden”, beschreibt Maike Schöne die schwierige Situation. „Man kann nicht mal die Hand einer Frau halten oder ein Kind auf den Arm nehmen. Es ist eine vollkommen andere Art der Arbeit.“

Auch für die Frauen ist die Situation belastend. Gerade von Gewalt geflohen, haben sie nun teilweise nur noch das Frauenhaus als Zufluchtsort. „Vor der Pandemie sind sie manchmal am Wochenende zu Verwandten oder Freunden gefahren“, so die Frauenhausleiterin. Das ist zwar auch zwischenzeitlich wieder möglich, aber wegen der Rückverfolgung mit viel Aufwand verbunden. Für die Gestaltung von Umgangskontakten der Kinder mit ihren Vätern gilt dies ebenso.

Weitere Veränderungen ab November

Maike Schöne befürchtet, dass die erneuten Beschränkungen im November die Situation nochmals verschärfen könnten. „Der sogenannte Lockdown light mit Kurzarbeit und den anderen Folgen, wirkt sich sicherlich auf die Frauen negativ aus“, sagt sie. Frauen, die in gewalttätigen Partnerschaften leben, seien wieder auf engstem Raum mit ihrem Partner – und die Kinder auch. Und wie im Frühjahr wird sich das in Fallzahlen sicherlich erst in den Wochen danach deutlich zeigen.
Allerdings sieht die Leiterin des Frauenhauses Soest gegenüber der Situation im Frühjahr einen entscheidenden Vorteil: „Wir sind mit unseren Hilfesystemen nun besser vorbereitet“, sagt sie. So bestünden nun Pandemiepläne, beispielsweise zur Aufnahme neuer Frauen oder dem Infektionsschutz der Bewohnerinnen. Der Alltag im Haus wird so gut wie möglich aufrecht gehalten, um weiterhin einen sicheren und stabilen Zufluchtsort für Frauen im Kreis Soest zu bieten – nicht nur im Hinblick auf den Virus, sondern im besonderen Maße auch mit Blick auf die psychischen und sozialen Auswirkungen für alle Bewohnerinnen.
Doch auch wenn die Einrichtungen nun besser aufgestellt sind – Maike Schöne befürchtet, dass betroffene Frauen derzeit noch angespannter auf die kommende Zeit blicken. „Auf der Seite der Betroffenen sind die Sorgen die gleichen wie zuvor: soziale Isolation in einer Zeit, in der die Gewalt durch den Partner besonderes Eskalationspotential hat.“

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